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Modellierung und Simulation (interdisziplinär) – Wachstumsmodelle

Bei der mathematischen Modellierung versucht man reale Situationen mit mathematischen Mitteln zu beschreiben. Man erstellt also von einem realen Problem ein mathematisches Modell. Dieses kann man dann analysieren und in weiterer Folge die so erhaltene Lösung mit der Realität vergleichen. Stimmt die Lösung einigermaßen mit der Beobachtung der Realität überein, so kann das Modell etwa für weiterführende Prognosen herangezogen werden.

Das vielleicht bekannteste Beispiel einer ganz konkreten derartigen Anwendung haben wir alle im Frühjahr 2020 erlebt. Seit dem ersten Auftreten des neuartigen Corona-Virus wird allerorts fieberhaft versucht, die Ausbreitung zu beschreiben, um auf Basis von weiterführenden Prognosen für die zukünftige Entwicklung auch entsprechende Handlungsempfehlungen ableiten zu können.

Freilich kommen dabei Modelle und Ansätze zum Einsatz, die hoch komplex und äußerst rechenintensiv ausfallen. Doch es gibt auch schon ganz einfache Szenarien, wo man die Bedeutung derartiger Überlegungen ohne großen Aufwand selbst nachvollziehen kann.


Das Quellen- und Literaturverzeichnis zu dieser Seite finden Sie hier.

Aufgabe 1 von 1

BEISPIEL DER SEEROSENPOPULATION

Stellen Sie sich einen Teich vor, in dem Sie eine Seerose einer bestimmten Sorte einpflanzen. Diese hat die Eigenschaft, dass sie unter idealen Voraussetzungen (d.h. ausreichend Nahrung und Platz fürs Wachstum) jeden Tag die von ihr bedeckte Teichfläche exakt verdoppelt.

Sie sollen ein Modell für das Wachstum dieser Seerose aufstellen, um vorhersagen zu können, wann die Teichoberfläche zu 90% bedeckt ist. Dazu stehen Ihnen die folgenden vier Ansätze zur Verfügung. Sie unterscheiden sich jeweils in der Form der täglichen Zunahme an bedeckter Teichoberfläche.

Welcher Ansatz davon könnte sich für dieses Beispiel als richtig erweisen?

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Ansatz 1 geht von der Annahme aus, dass die Zunahme (der bedeckten Teichoberfläche) jeden Tag konstant ist.

Abb. 1: Lineare Wachstumsfunktion

Dieser Ansatz führt auf das sogenannte lineare Wachstumsmodell.

  • Wachstumsvorgänge, die sich tatsächlich gemäß diesem Modell verhalten, zeichnen sich durch eine gleichbleibende konstante Zunahme in gleichen Zeitabständen aus.
  • Die Wachstumsgeschwindigkeit bleibt den gesamten Zeitraum über konstant.
  • Die dazugehörige Wachstumsfunktion ist daher eine lineare Funktion, wobei der genaue Wert der konstanten Zunahme pro Zeitabschnitt die Steigung der Geraden steuert.
  • Beispielsweise könnte näherungsweise das Wachstum eines Baumes damit beschrieben werden, der jedes Jahr 10 cm in die Höhe wächst, unabhängig von der bereits vorhandenen Größe.

Eine Verdopplung der bedeckten Teichoberfläche wie in unserem Szenario lässt sich so aber definitiv nicht beschreiben, weshalb dieser Ansatz für das Seerosenbeispiel jedenfalls ungeeignet ist.

Ansatz 2 geht davon aus, dass die Zunahme (der bedeckten Teichoberfläche) jeden Tag proportional zur bereits (von Seerosen) bedeckten Teichoberfläche ist.

Abb. 2: Exponentielle Wachstumsfunktion

Dieser Ansatz führt auf das sogenannte exponentielle Wachstumsmodell.

  • Wachstumsvorgänge, die sich tatsächlich gemäß diesem Modell verhalten, zeichnen sich dadurch aus, dass sich der Wert im Laufe der Zeit in gleichen Zeitabständen immer um denselben (Proportionalitäts-)Faktor ändert.
  • Die Wachstumsgeschwindigkeit nimmt somit über den gesamten Zeitraum immer mehr zu.
  • Die dazugehörige Wachstumsfunktion ist eine Exponentialfunktion, wobei der Proportionalitätsfaktor die Basis und damit die Steigung der Exponentialfunktion steuert.
  • Beispielsweise könnte näherungsweise das anfängliche(!) Wachstum einer Bakterienkultur damit beschrieben werden, wenn sich jedes Bakterium nach jeder Stunde in zwei neue Bakterien teilt.
  • Aber auch bei der Ausbreitung des Corona-Virus konnte zunächst eine ähnliche Entwicklung beobachtet werden, weshalb mittlerweile sowohl der Begriff des exponentiellen Wachstums als auch der charakteristische Wachstumsverlauf eine gewisse Berühmtheit erlangt hat.

Das klingt zunächst schon recht ähnlich zum vorliegenden Szenario. Doch dieses exponentielle Wachstumsmodell hat einen entscheidenden Nachteil, der auch unmittelbar aus der Form der Wachstumsfunktion ersichtlich ist: Es ist ein unbegrenztes Wachstum.

Die Tatsache, dass etwa die Petrischale, auf der sich die Bakterien vermehren, irgendwann voll ist, wird einfach ignoriert. Somit ist es auch für unseren Teich unbrauchbar, denn auch dieser Teich ist eines Tages vollständig mit Seerosen bedeckt. Und was soll dann passieren? Geht der Teich am nächsten Tag etwa vor lauter Seerosen über?

Tatsächlich lassen sich ähnliche Probleme mit einem exponentiellen Ansatz nur in den Anfangsstadien beschreiben, solange also – wie auch in der Aufgabenstellung erwähnt – tatsächlich ausreichend Nahrung und Platz fürs Wachstum vorhanden ist.

Ansatz 3 geht davon aus, dass die Zunahme (der bedeckten Teichoberfläche) jeden Tag proportional zur noch nicht (von Seerosen) bedeckten Teichoberfläche ist.

Abb. 3: Beschränkte Wachstumsfunktion

Dieser Ansatz führt auf das sogenannte beschränkte Wachstumsmodell.

  • Wachstumsvorgänge, die sich tatsächlich gemäß diesem Modell verhalten, berücksichtigen die Tatsache, dass das Wachstum nicht beliebig ausfallen kann, sondern vielmehr einer natürlichen (Kapazitäts-)Grenze unterliegt. Die Zunahme erfolgt daher nicht proportional zur schon vorhandenen Menge, sondern vielmehr proportional zur noch vorhandenen Kapazität.
  • Somit nimmt die Wachstumsgeschwindigkeit mit der Zeit immer mehr ab.
  • Die dazugehörige Wachstumsfunktion ist daher eine nach oben beschränkte Funktion der Form \(S(t) = K-(K-S_0)e^{-kt},\) wobei \(K\) die Kapazitätsgrenze darstellt und \(S_0\) der Anfangswert der betrachteten Menge beschreibt. Der genaue Wert für \(k\) wird wieder von der Proportionalitätskonstante gesteuert.
  • Beispielsweise könnte durch ein derartiges Modell die Erwärmung eines gekühlten Getränkes beschrieben werden, das man in eine warme Umgebung stellt. Offensichtlich wird sich die Getränketemperatur an jene der Umgebung anpassen – sie wird diese aber nie übersteigen, weshalb sich das Wachstum mit der Zeit abflachen wird.

Da wir von einem fast leeren Teich aus starten, wo zu Beginn die Teichgröße als natürliche Grenze für das Wachstum noch keine Rolle spielen sollte, scheint dieser Ansatz für das Seerosenbeispiel nicht passend zu sein. Vielmehr erwarten wir tatsächlich zumindest zu Beginn, dass sich das Wachstum der Seerosen stark beschleunigen wird, was durch dieses Modell nicht abgebildet wird.

Ansatz 4 nimmt an, dass die Zunahme (der bedeckten Teichoberfläche) jeden Tag sowohl proportional zur bereits (von Seerosen) bedeckten Teichoberfläche als auch proportional zur noch freien Teichoberfläche ist.

Abb. 4: Logistische Wachstumsfunktion

Dieser Ansatz führt auf das sogenannte logistische Wachstumsmodell.

  • Wachstumsvorgänge, die sich tatsächlich gemäß diesem Modell verhalten, berücksichtigen die Tatsache, dass das Wachstum nicht beliebig ausfallen kann, sondern vielmehr einer natürlichen (Kapazitäts-)Grenze unterliegt. Gleichzeitig verfolgt das Modell aber sehr wohl den Ansatz, dass das Wachstum auch von der bereits vorhandenen Menge beeinflusst wird.

Die Zunahme erfolgt daher sowohl proportional zur schon vorhandenen Menge als auch proportional zur noch vorhandenen Kapazität.

  • Ausgehend von einem (im Vergleich zur Kapazität) kleinen Startwert nimmt somit die Wachstumsgeschwindigkeit üblicherweise zunächst zu und erst mit der Zeit wiederum immer mehr ab.
  • Die dazugehörige Wachstumsfunktion nennt man auch logistische Funktion oder Sigmoidfunktion und zeichnet sich durch einen typischen „S“-förmigen Verlauf aus. Daher ist auch der Name S-Funktion gebräuchlich. Der genaue Verlauf, also wie schnell die Änderung zunächst ansteigt und gegen Ende wieder abflacht hängt von der Proportionalitätskonstanten ab.

Ausgehend von einem fast leeren Teich kann sich die Seerose zunächst also tatsächlich vergleichsweise uneingeschränkt vermehren. Das Wachstum erfolgt daher zunächst exponentiell, Nahrung und Platz scheinen unbegrenzt zur Verfügung zu stehen.

Erst später, je voller der Teich wird, desto mehr kommt die Kapazitätsgrenze „Teichgröße“ ins Spiel und sorgt für ein Abflachen des Wachstums. Je näher man an die Kapazitätsgrenze herankommt, je voller der Teich wird, umso weniger neue Seerosen haben noch Platz. Das führt zu der typischen S-Form der Wachstumsfunktion, weshalb das logistische Modell für unser Seerosenbeispiel als geeignet angesehen werden kann.