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Biblisch-historische Theologie: Altes Testament – Die Stellung des Menschen im Alten Testament

Was ist der Mensch? Diese Frage ist sehr alt und zugleich sehr aktuell. Sie wird heute beispielsweise relevant, wenn darüber nachgedacht wird, worin sich Mensch und Tier unterscheiden und wie die Stellung des Menschen gegenüber Tieren zu bestimmen ist, aber auch wenn es um die Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) geht: Was macht den Menschen aus? Wodurch wird er bestimmt? Was ist seine Eigenart, worauf ist er ausgerichtet?

Diese Fragen kommen auch im Alten Testament vor, natürlich nicht in einer mit heutigen Diskursen vergleichbaren naturwissenschaftlichen, philosophischen oder evolutionsbiologischen Reflexion. Dennoch enthalten die mehr als 2000 Jahre alten Texte Spuren einer sehr alten Weisheit, die sich auch zum Menschsein Gedanken machte – immer auch im Blick auf die übernatürliche, göttliche Welt. Die Texte des Alten Testaments sind dabei eingebunden in die Überlieferungen des Alten Orients und Ägyptens.

Auch für die heutige Zeit ist es interessant, diesen alten, aber nicht überholten Vorstellungen von der Stellung des Menschen gegenüber der Schöpfung und der Götterwelt nachzugehen. Was sagen die altorientalischen Quellen zu diesem Thema? Und welche spezifischen Aspekte trägt das Alte Testament dazu bei? Die Ergebnisse der Spurensuche können von der Dogmatik, Christlichen Gesellschaftslehre, Religionspädagogik und anderen theologischen Disziplinen aufgegriffen werden.


Das Quellen- und Literaturverzeichnis zu dieser Seite finden Sie hier.

Aufgabe 1 von 5

DIE STELLUNG DES MENSCHEN IM VERHÄLTNIS ZU GOTT – BIBLISCHE UND AUSSERBIBLISCHE TEXTE IM VERGLEICH

Im Folgenden lesen Sie neben einem alttestamentlichen Text aus dem Buch Genesis drei Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, deren Inhalt den Autor*innen der Bibel bekannt gewesen sein dürfte. Zwei stammen aus Mesopotamien (genauer aus Assur und Babylon), einer aus Ägypten. Auch diese Texte sind, wie der biblische Text, nicht ‚vom Himmel gefallen‘, sondern menschliche Versuche, sich die Welt und das Dasein zu erklären. Sie stellen also einen Blick des Menschen auf sich selbst und auf die Welt dar und drücken die Erkenntnisse in erzählerischer Weise aus. Dabei wird immer mit dem Einwirken der göttlichen Sphäre in die Welt gerechnet.

Der Blick auf die altorientalischen Texte hilft dabei, die Aussage des biblischen Textes einzuordnen und deren Verständnis zu schärfen. Achten Sie beim Lesen vor allem darauf, wie die Aufgabe des Menschen bzw. die Begründung für die Erschaffung des Menschen dargestellt wird.

 

Der Mensch im Garten Eden
7 Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. 8 Dann pflanzte Gott, der HERR, in Eden, im Osten, einen Garten und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. […] 15 Gott, der HERR, nahm den Menschen und gab ihm seinen Wohnsitz im Garten von Eden, damit er ihn bearbeite und hüte. 16 Dann gebot Gott, der HERR, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, 17 doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; […] 19 Gott, der HERR, formte aus dem Erdboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte sein Name sein. 20 Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes.“
(Gen 2,7f.15-17.19f., Einheitsübersetzung 2016)

 

Ein Schöpfungsmythos aus Assur
„‚Anunnaki, [ihr] großen Götter, was wollen wir machen, was wollen wir erschaffen?‘ Die großen Götter, die anwesend waren, die Anunnaki, die das Schicksal bestimmen, sie alle antworteten Enlil: ‚Im Uzumua, dem Band von Himmel und Erde, wollen wir die Alla-Gottheiten schlachten [und] aus ihrem Blut die Menschheit erschaffen. Das Arbeitspensum der Götter sei ihr Arbeitspensum! Auf ewige Tage den Grenzgraben festzusetzen, Hacke und Tragkorb in ihre Hand zu legen, […] den Deich herzurichten, […] ‚das Grundstück zu bewässern‘, Pflanzen gedeihen zu lassen…‘“
(Vs. 18-40; TUAT.AF III,4 [1997] S. 606f.)

 

Das babylonische Gedicht Enuma elisch
„Als [der Gott] Marduk die Rede der Götter hörte,
bekam er den Wunsch, kunstvolle Dinge zu schaffen.
Er öffnete seinen Mund, um zu Ea zu sprechen,
was er in seinem Herzen erwogen hatte, berät er.
‚Ich will Blut zusammenbringen und Knochen formen,
ich will den Lullu [= Mensch] ins Leben rufen, dessen Name ‚Mensch‘ sein soll.
Ich will den Lullu-Menschen erschaffen,
auf den die Mühsal der Götter gelegt sein soll, damit diese Ruhe haben…‘“
(VI 1-8; TUAT.AF III,4 [1997] S. 591f.)


Die ägyptische Lehre für Merikare
„Wohlversorgt sind die Menschen,
das ‚Kleinvieh‘ Gottes:
Ihnen zuliebe schuf er Himmel und Erde,
er bezwang die Gier des Wassers
und schuf die Luft, damit sie leben können.
Seine Ebenbilder sind sie, hervorgegangen aus seinem Leibe.
Ihnen zuliebe geht er am Himmel auf,
für sie erschuf er Pflanzen und Tiere,
Vögel und Fische, [um] sie zu ernähren…“
(Z. 130-134; TUAT.AF II,6 [1991] S. 835)

Wie stellen die Texte den Menschen und seine Stellung dar? Bitte kreuzen Sie an, welche Aussagen für welchen Text zutreffen.

Schöpf-ungs-erzählung Gen 2
   
Schöpf-ungs-mythos aus Assur
   
Das baby-lonische Gedicht Enuma elisch
   
Die ägyptische Lehre für Merikare
   

Der Mensch soll (mühevolle) Arbeit leisten.

Der Mensch wird vom Schöpfergott gut versorgt.

Der Mensch erhält eine verantwortungsvolle Tätigkeit.

Der Mensch erhält eine eher niedrige Stellung im Verhältnis zu Gott bzw. den Göttern.

Der Mensch erhält eine eher hohe Stellung im Verhältnis zu Gott bzw. den Göttern.

Im Vergleich zu den beiden Texten aus Mesopotamien hat der Mensch nach der ägyptischen, aber auch nach der biblischen Darstellung also eine höhere Stellung: Statt bloß Diener der Götter zu sein und ihnen die mühsame Arbeit abzunehmen, sorgt die Gottheit für den Menschen geradezu liebevoll.

Auch die Erschaffung des Menschen durch das Einhauchen des Atems durch Gott in Gen 2,7 lässt eine große Nähe und Zuwendung Gottes zum Menschen erkennen:

„Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem.“

Dennoch drückt dieser Vers auch ganz deutlich eine Abhängigkeit des Menschen von seinem Schöpfer aus: Ohne die Initiative Gottes gäbe es den Menschen nicht.