Kirchengeschichte – ‚Ich denke, also bin ich‘
Dieses Aufgabengebiet wurde erstellt von Volker Drecoll und Isabella Schuler.
‚Ich denke, also bin ich‘ (cogito ergo sum) – vielleicht kennen Sie dieses Zitat des französischen Philosophen René Descartes (1596-1650). Die lateinische Version stammt aus dessen Werk Principia philosophiae (1644). In seinem Discours de la méthode (1637) ist das Zitat aber auch schon auf Französisch zu finden: ‚Je pense, donc je suis.‘ In beiden Werken geht es um die Frage, ob es irgendetwas gibt, bei dem man sich ganz ohne Zweifel sicher sein kann, dass es wirklich existiert.
Damit vergleichbare Überlegungen finden sich bereits gut tausend Jahre vor Descartes, beim Kirchenvater Augustin von Hippo (354-430). Auch in verschiedenen seiner Texte spielt die Frage danach, was ohne Zweifel sicher gewusst werden kann, eine tragende Rolle. Beide Autoren haben auf je ihre Weise zur Entwicklung des Christentums beigetragen und sind daher für die Kirchengeschichte von Interesse. In den folgenden Aufgaben werden Sie exemplarisch je einen Text von Augustin und einen Text von Descartes in den Blick nehmen.
Die Kirchengeschichte zielt in einem ersten Schritt darauf ab, die Texte zu verstehen. Die Aufgaben führen Sie daher zunächst an eine sorgfältige Lektüre der Texte heran. In einem zweiten Schritt sind Texte in ihren historischen Kontext einzubetten. Die beiden Schritte dürfen und können aber nicht strikt voneinander getrennt werden, denn die Texte sind Zeugen ihrer Zeit. Sie können ohne ihren historischen Kontext nicht richtig verstanden werden und verraten gleichzeitig etwas über ihre Autoren, die Adressaten und die Umstände, in denen sie entstanden sind.
In der Aufgabe ‚Ich denke, also bin ich‘ werden Sie in mehreren Schritten zuerst das Kapitel de civitate dei 11,26 von Augustin untersuchen. Das Kapitel gehört zu einem der Großwerke Augustins, mit dem er gut 15 Jahre beschäftigt war. Ein entscheidender Anlass für Augustin, dieses Werk zu verfassen, war der sogenannte ‚Fall Roms‘. Im Jahre 410 fielen Goten in Rom ein. Zwar kann archäologisch nicht nachgewiesen werden, dass bei diesem Einfall eine flächendeckende Verwüstung Roms stattfand, aus den Texten der Zeit lässt sich jedoch erheben, dass das Ereignis einen bleibenden Schrecken bei den Bewohnern des römischen Reiches hinterlassen hat. Der ‚Fall Roms‘ hatte also einen hohen symbolischen Wert. Für diesen ‚Fall Roms‘ machten einige Heiden die christliche Religion verantwortlich. Hätte man die Götter weiterverehrt und sich nicht dem christlichen Gott zugewendet, wäre es nicht zu der Katastrophe gekommen. Diesem Argument begegnet Augustin in de civitate dei. Die ersten zehn Bücher widersprechen der These, die römischen Götter könnten ihren Verehrern Glück vor oder nach dem Tod garantieren. In den Büchern 11-22 konzentriert sich Augustin darauf, die christliche Lehre vorzustellen.
Von René Descartes wird die Meditatio de prima philosophia 2,3 herangezogen. Diese Schrift hat Descartes 1641 verfasst. In ihr findet sich zwar nicht wortwörtlich das cogito ergo sum, jedoch taucht es inhaltlich auf. Descartes widmete die Schrift der Theologischen Fakultät Sorbonne in Paris. Der Text soll den Theologen Argumente an die Hand geben, die den christlichen Glauben gegen Einwände der Atheisten verteidigen. Neben Christen hatte Descartes als Adressaten folglich Atheisten im Blick, die die Existenz eines Göttlichen grundsätzlich leugnen.
Das Quellen- und Literaturverzeichnis zu dieser Seite finden Sie hier.
Aufgabe 1 von 9
AUGUSTINS DE CIVITATE DEI 11,26 – TEIL 1: LEITVERBEN
nulla in his ueris Academicorum argumenta formido dicentium: quid si falleris? si enim fallor, sum. nam qui non est, utique nec falli potest: ac per hoc sum, si fallor. quia sum ergo, si fallor, quomodo esse me fallor, quando certum est me esse, si fallor? quia igitur essem qui fallerer, etiamsi fallerer, procul dubio in eo, quod me noui esse, non fallor. consequens est autem, ut etiam in eo, quod me noui nosse, non fallar. sicut enim noui esse me, ita noui etiam hoc ipsum, nosse me.
(Augustin, de civitate dei 11,26 [345,17-346,25 D./K.])
Keine bezüglich dieser wahren Dinge vorgetragenen Argumente der Akademiker beunruhigen mich, die sie sagen: Was, wenn du dich täuschst? Denn wenn ich mich täusche, bin ich. Denn wer nicht ist, kann sich ja auch gar nicht täuschen: deshalb bin ich, wenn ich mich täusche. Weil ich also bin, wenn ich mich täusche, inwiefern täusche ich mich, dass ich bin, weil es ja sicher ist, dass ich bin, wenn ich mich täusche? Weil ich also sein muss, der ich mich täusche, selbst wenn ich mich täuschen würde, täusche ich mich ohne Zweifel nicht darin, dass ich weiß, dass ich bin. Daraus folgt jedoch, dass ich auch darin, dass ich weiß, dass ich [es] weiß, mich nicht täusche. Denn wie ich weiß, dass ich bin, so weiß ich auch dies selbst, dass ich [es] weiß.
Welche Verben kommen in dem Text häufig vor?
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Formen von ‚denken‘ (cogitare)
Formen von ‚denken‘ (cogitare) kommen im Text nicht vor.
Formen von ‚sein‘ (esse)
‚Denn wenn ich mich täusche, bin ich.‘ (si enim fallor, sum.)
Formen von ‚erkennen‘ (intellegere)
Formen von ‚erkennen‘ (intellegere) kommen im Text nicht vor.
Formen von ‚wissen‘ (nosse)
z.B. ‚… ich weiß, dass ich bin.‘ (me noui esse)
Formen von ‚sich täuschen‘ (falli)
z.B. ‚Was, wenn du dich täuschst?‘ (quid si falleris?)
Die Verbformen am lateinischen Text hervorgehoben (falli ,esse,nosse):
nulla in his ueris Academicorum argumenta formido dicentium: quid si falleris? si enim fallor, sum. nam qui non est, utique nec falli potest: ac per hoc sum, si fallor. quia sum ergo, si fallor, quomodo esse me fallor, quando certum est me esse, si fallor? quia igitur essem qui fallerer, etiamsi fallerer, procul dubio in eo, quod me noui esse, non fallor. consequens est autem, ut etiam in eo, quod me noui nosse, non fallar. sicut enim noui esse me, ita noui etiam hoc ipsum, nosse me.
Aufgabe 2 von 9
AUGUSTINS DE CIVITATE DEI 11,26 – TEIL 2: SATZARTEN
Welche der folgenden Satzarten treten (wiederholt) auf?
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Direkte Frage
z.B. ‚Was, wenn du dich täuschst?‘ (quid si falleris?)
Relativsatz
z.B. ‚der ich mich täusche‘ (qui fallerer)
Schlussfolgerung
z.B. ‚Weil ich also sein muss …‘ (quia igitur essem)
Aufforderung
ein Beispiel wäre ‚Täusche dich nicht!‘ (ne fefelleris!). Dergleichen ist aber im Text nicht zu finden.
Konditionalsatz
z.B. ‚Denn wenn ich mich täusche, bin ich.‘ (si enim fallor, sum.)
Direkte Frage
Relativsatz
Schlussfolgerung
Konditionalsatz
nulla in his ueris Academicorum argumenta formido dicentium: quid si falleris? si enim fallor, sum. nam qui non est, utique nec falli potest: ac per hoc sum, si fallor. quia sum ergo, si fallor, quomodo esse me fallor, quando certum est me esse, si fallor? quia igitur essem qui fallerer, etiamsi fallerer, procul dubio in eo, quod me noui esse, non fallor. consequens est autem, ut etiam in eo, quod me noui nosse, non fallar. sicut enim noui esse me, ita noui etiam hoc ipsum, nosse me.
Aufgabe 3 von 9
AUGUSTINS DE CIVITATE DEI 11,26 – TEIL 3: GLIEDERUNG
Anhand der bisherigen Beobachtungen zum Text lässt sich eine Gliederung erstellen, die die Struktur und den Argumentationsgang des Textes erfasst.
Bringen Sie die folgenden Gliederungspunkte in die richtige Reihenfolge, um zu zeigen, dass Sie die Argumentation des Textes nachvollzogen haben.
-
Frage nach der Möglichkeit des Täuschens in Bezug auf das Sein
-
Zusammenhang des Täuschens und des Seins
-
Unmöglichkeit des Täuschens in Bezug auf das Sein
-
Frage nach der Möglichkeit des Täuschens in Bezug auf das Wissen um das Sein
-
Zusammenhang der Unmöglichkeit des Täuschens in Bezug auf das Sein und das Wissen um das Sein
-
Unmöglichkeit des Täuschens in Bezug auf das Wissen um das Sein
Einleitung: ‚Was, wenn du dich täuschst?‘ (quid sie falleris?)
Begründung: ‚Denn wenn ich mich täusche, bin ich.‘ (si enim fallor, sum.)
Schlussfolgerung: ‚deshalb bin ich, wenn ich mich täusche.‘ (ac per hoc sum, si fallor.)
Einleitung: ‚inwiefern täusche ich mich, dass ich bin, weil es ja sicher ist, dass ich bin, wenn ich mich täusche?‘ (quomodo esse me fallor, quando certum est me esse, si fallor?)
Begründung: ‚Weil ich also sein muss, der ich mich täusche‘ (quia igitur essem qui fallerer)
Schlussfolgerung: ‚Daraus folgt jedoch, dass‘ (consequens est autem, ut)
Augustin argumentiert jeweils auf dieselbe Weise für (1) die unzweifelhafte Sicherheit des Seins und (2) die unzweifelhafte Sicherheit des Wissens um das Sein
- Die unzweifelhafte Sicherheit des Seins
- Einleitung: Frage nach Möglichkeit des Täuschens in Bezug auf das Sein
- Begründung: Zusammenhang des Täuschens und des Seins
- Schlussfolgerung: Unmöglichkeit des Täuschens in Bezug auf das Sein
- Die unzweifelhafte Sicherheit des Wissens um das Sein
- Einleitung: Frage nach der Möglichkeit des Täuschens in Bezug auf das Wissen um das Sein
- Begründung: Zusammenhang der Unmöglichkeit des Täuschens in Bezug auf das Sein und das Wissen um das Sein
- Schlussfolgerung: Unmöglichkeit des Täuschens in Bezug auf das Wissen um das Sein
Aufgabe 4 von 9
AUGUSTINS DE CIVITATE DEI 11,26 – TEIL 4: LEKTÜRE IM KONTEXT
Nachdem Sie die genaue Argumentation nachvollzogen haben, geht es im Folgenden um den Kontext dieses Textausschnitts.
(1) Et nos quidem in nobis, tametsi non aequalem, immo ualde longeque distantem, neque coaeternam et, quo breuius totum dicitur, non eiusdem substantiae, cuius deus est, tamen qua deo nihil sit in rebus ab eo factis natura propinquius, imaginem dei, hoc est illius summae trinitatis, agnoscimus, adhuc reformatione perficiendam, ut sit etiam similitudine proxima. nam et sumus et nos esse nouimus et id esse ac nosse diligimus.
(2) in his autem tribus, quae dixi, nulla nos falsitas uerisimilis turbat. non enim ea sicut illa, quae foris sunt, ullo sensu corporis tangimus, uelut colores uidendo, sonos audiendo, odores olfaciendo, sapores gustando, dura et mollia contrectando sentimus, quorum sensibilium etiam imagines eis simillimas nec iam corporeas cogitatione uersamus, memoria tenemus et per ipsas in istorum desideria concitamur; sed sine ulla phantasiarum uel phantasmatum imaginatione ludificatoria mihi esse me idque nosse et amare certissimum est.
(3) nulla in his ueris Academicorum argumenta formido dicentium: quid si falleris? si enim fallor, sum. nam qui non est, utique nec falli potest: ac per hoc sum, si fallor. quia sum ergo, si fallor, quomodo esse me fallor, quando certum est me esse, si fallor? quia igitur essem qui fallerer, etiamsi fallerer, procul dubio in eo, quod me noui esse, non fallor. consequens est autem, ut etiam in eo, quod me noui nosse, non fallar. sicut enim noui esse me, ita noui etiam hoc ipsum, nosse me.
(4) eaque duo cum amo, eundem quoque amorem quiddam tertium nec inparis aestimationis eis quas noui rebus adiungo. neque enim fallor amare me, cum in his quae amo non fallar; quamquam etsi illa falsa essent, falsa me amare uerum esset. nam quo pacto recte reprehenderer et recte prohiberer ab amore falsorum, si me illa amare falsum esset? cum uero et illa uera atque certa sint, quis dubitet quod eorum, cum amantur, et ipse amor uerus et certus est? tam porro nemo est qui esse se nolit, quam nemo est qui non esse beatus uelit. quomodo enim potest beatus esse, si nihil sit?
(Augustin, de civitate dei 11,26 [345,1-346,35 D./K.] [Hervorhebungen vom Aufgabensteller])
(1) Und wir, nämlich in uns – wenn auch nicht gleich, vielmehr weit und lang entfernt, auch nicht gleichewig und (wodurch das ganze kürzer gesagt wird) nicht von derselben Substanz wie Gott ist – erkennen – insofern Gott dennoch nichts von den von ihm geschaffenen Dingen der Natur nach näher ist – das Bild Gottes, das heißt jener höchsten Trinität, bis es [d.h. das Bild] durch Erneuerung zur Vollendung gebracht wird, sodass es sogar durch die Ähnlichkeit das Nächstliegende ist. Denn wir sind und wir wissen, dass wir sind und wir lieben es zu sein und zu wissen.
(2) Bezüglich dieser drei Dinge jedoch, die ich nannte, verunsichert uns keine Fälschung des Ähnlichen. Denn wir erfassen sie nicht so wie jene, die außerhalb sind, durch irgendeinen Sinn des Körpers, wie wir die Farben durch das Sehen, die Töne durch das Hören, die Gerüche durch das Riechen, die Würze durch das Schmecken, das Harte und das Weiche durch das Tasten wahrnehmen. Von deren Wahrnehmungen befassen wir uns ja sogar mit ihnen ähnlichen, wenn auch nicht mehr körperlichen Bildern in Gedanken, wir behalten sie in Erinnerungen und werden durch diese selbst [d.h. durch die Erinnerungen] zum Wunsch nach diesen hier [d.h. nach dem, was wir wahrgenommen haben] angeregt; aber ohne irgendeine trügerische Einbildung der Gedanken oder von Hirngespinsten ist es für mich vollkommen sicher, dass ich bin und es weiß und liebe.
(3) Keine bezüglich dieser wahren Dinge vorgetragenen Argumente der Akademiker beunruhigen mich, die sie sagen: was, wenn du dich täuschst? Denn wenn ich mich täusche, bin ich. Denn wer nicht ist, kann sich ja auch gar nicht täuschen: deshalb bin ich, wenn ich mich täusche. Weil ich also bin, wenn ich mich täusche, inwiefern täusche ich mich, dass ich bin, weil es ja sicher ist, dass ich bin, wenn ich mich täusche? Weil ich also sein muss, der ich mich täusche, selbst wenn ich mich täuschen würde, täusche ich mich ohne Zweifel nicht darin, dass ich weiß, dass ich bin. Daraus folgt jedoch, dass ich auch darin, dass ich weiß, dass ich [es] weiß, mich nicht täusche. Denn wie ich weiß, dass ich bin, so weiß ich auch dies selbst, dass ich [es] weiß.
(4) Und indem ich die zwei liebe, füge ich auch dieselbe Liebe gewissermaßen wie ein drittes – auch nicht ihnen ungleich an Wert – den Dingen, die ich kenne, hinzu. Denn ich täusche mich auch nicht, dass ich liebe, wenn ich mich in den Dingen, die ich liebe, nicht täusche; obwohl, wenn auch jene [d.h. die Dinge, die ich liebe] falsch wären, es wahr wäre, dass ich die falschen Dinge liebe. Denn wie könnte man mich zurecht tadeln und zurecht von der Liebe zu den falschen Dingen abhalten, wenn es falsch wäre, dass ich jene Dinge liebe? Wenn aber auch jene [d.h. die Dinge, die ich liebe] wahr und sicher sind, wer zweifelt daran, dass auch die Liebe selbst zu ihnen, wenn sie geliebt werden, wahr und sicher ist? So gibt es ferner niemanden, der nicht wollte, dass er ist, wie es genauso wenig jemanden gibt, der nicht wollte, dass er glücklich ist. Denn wie kann er glücklich sein, wenn er gar nicht ist?
Versuchen Sie nun die folgenden beiden Fragen zu beantworten:
- Wie grenzt sich Abschnitt 3 aus dem oben zitierten Kapitel vom unmittelbaren Kontext ab?
- Welche Thematik behandelt das gesamte oben zitierte Kapitel und inwiefern wirkt sich das auf das Verständnis des 3. Abschnitts aus?
Abgrenzung zum unmittelbar vorausgehenden und nachfolgenden Textabschnitt
Ein markantes Zeichen für den unmittelbaren Anschluss des Textausschnittes an den vorangegangenen Abschnitt stellt das Demonstrativpronomen ‚dieser‘ (his) dar. Indem gleich zu Beginn ‚diese wahren Dinge‘ genannt werden, verbindet Augustin den Textausschnitt mit dem vorangegangenen Absatz. Gemeint sind die drei Aspekte ‚zu sein, zu wissen, dass man ist, und zu lieben, dass man ist und es weiß.‘ Diese drei Aspekte werden sowohl am Ende des Abschnittes (1) als auch am Ende des Abschnittes (2) genannt. Außerdem ist die Wiederholung von ‚bezüglich dieser‘ (in his) jeweils zu Beginn des Textabschnittes (2) und (3) auffällig. Auch Abschnitt (4) greift über ein Demonstrativpronomen (‚und die zwei‘ [eaque duo]) auf Abschnitt (3) zurück. Die Argumentation wird fortgesetzt, nun mit Blick auf das dritte der drei eingangs genannten Elemente.
Der Abschnitt ist folglich fest in einen Argumentationsgang eingebettet. Dennoch weist der Abschnitt gegenüber dem Kontext einige Besonderheiten auf, so insbesondere das gehäufte Auftreten der Verben ‚sich täuschen‘ (falli), ‚sein‘ (esse) und ‚wissen‘ (nosse), und die vielen Konditionalsätze, die im Lateinischen mit si gebildet werden. Demgegenüber ist der erste Konditionalsatz in Abschnitt (4) mit cum gebildet, eine Besonderheit, die sich in der deutschen Übersetzung leider nicht wiedergeben lässt.
Diese sprachlichen Beobachtungen erlauben es einerseits, den Text als eigenen Abschnitt zu behandeln. Andererseits darf er aber nicht aus dem Kontext losgelöst werden. Um den Text richtig zu verstehen, ist der Kontext wichtig.
Verständnis des Textes im Kontext
Ohne den Kontext zu kennen, kann man dem Text nur entnehmen, dass Augustin argumentiert, inwiefern es unmöglich ist, das eigene Sein anzuzweifeln, und wie es somit auch unmöglich ist, daran zu zweifeln, dass man von dem eigenen Sein weiß.
Durch den Kontext ergeben sich für das Textverständnis folgende Veränderungen:
1.) Es geht eigentlich um drei, nicht nur um zwei Aspekte: Neben dem ‚Sein‘ und dem ‚Wissen um das Sein‘ kann laut Augustin noch etwas Drittes von mir als Person nicht bezweifelt werden, nämlich, dass ich es liebe, zu sein und von meinem Sein zu wissen. Schon das Ende des Abschnitts deutet an, dass er diese Thematik noch genauer untersuchen möchte. In den folgenden Abschnitten versteht man auch, was Augustin mit dieser Liebe meint. Es bedeutet für ihn, dass wir zustimmen zu sein, was sich darin ausdrückt, dass wir, solange wir sind, unser Sein ja nicht beenden, und es ist uns auch lieber, von unserem Sein zu wissen, als dass es uns nicht bewusst ist, dass wir sind.
2.) Dem Argument, sich in Bezug auf ‚Sein‘ und ‚Wissen um das Sein‘ nicht täuschen zu können, geht ein anderes Argument für die Sicherheit von ‚Sein‘, ‚Wissen um das Sein‘ und ‚Lieben von Sein und Wissen‘ voraus: Wir nehmen diese drei Aspekte nicht durch die körperlichen Sinne wahr. Wenn man Augustins Argument umdreht, könnte man auch sagen, ich muss nicht hören können, um zu wissen, dass ich bin. Ihm geht es in Abschnitt (2) aber noch um etwas Anderes, nämlich um die Vorstellung, die wir uns von Dingen machen. Diese können uns durchaus täuschen. Wer kennt das nicht? Man hat eine Person irgendwie anders in Erinnerung oder ein Gericht sieht sehr lecker aus, ist aber womöglich versalzen… Um solche Täuschungen geht es Augustin. Sie stellt er der Unbezweifelbarkeit der Dreiheit ‚Sein‘, ‚Wissen um Sein‘ und ‚Lieben von Sein und Wissen‘ bewusst entgegen.
3.) Wenn man nun noch einen Blick auf Absatz (1) wirft, erkennt man, weshalb Augustin überhaupt auf die Unbezweifelbarkeit dieser Dreiheit kommt. Der Aufhänger des Ganzen ist eine andere Dreiheit, oder besser gesagt, Dreieinigkeit, nämlich die Trinität. Augustin glaubt fest daran, dass Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist in Einheit ist. Da wir laut dem ersten Schöpfungsbericht, Genesis 1, als Abbild Gottes, der ja eben die Trinität ist, geschaffen sind, überlegt Augustin nun, inwiefern die Dreieinigkeit im Menschen zu finden ist. Er geht dabei ganz von sich aus. Inwiefern finde ich in mir, der ich doch eine Person bin, eine Dreiheit? Diese Dreiheit, die insofern eine Einheit darstellt, als das eine nicht ohne das andere existieren kann, ist nach Augustin ein Abbild der Trinität und kann nicht bezweifelt werden.
Sind Ihnen noch andere Punkte aufgefallen? Nur, weil sie in diesen Texten nicht aufgeführt wurden, müssen Ihre Überlegungen nicht falsch sein. Ein Studium der Evangelischen Theologie lebt davon, dass Sie sich mit anderen über Ihre Beobachtungen austauschen und für diese argumentieren.
Aufgabe 5 von 9
Welche der folgenden Leitfragen beschreibt die Pointe, also das Ziel oder den Kern, des Textausschnittes, wenn man diesen in seinem Kontext liest? Wählen Sie eine(!) der folgenden Fragen aus und begründen Sie diese Wahl anhand des Textes.
Ist es mir möglich, an mir zu zweifeln?
zu unpräzise
Wie erkenne ich mich selbst?
schwingt mit, ist aber nicht Kern der Aussage
Inwiefern bin ich Abbild des trinitarischen Gottes?
Dass wir sind, dies wissen und beides lieben, ist die Begründung dafür, dass wir Abbild der Trinität sind.
Wie kann ich mir sicher sein, dass ich existiere?
Ohne Kontextualisierung würde dies zutreffen.
Wie kann ich sicher sein, dass Gott die Trinität ist?
Es geht zwar um die Trinität, ein gesichertes Wissen dieser wird aber nicht thematisiert.
Viele der oben genannten Fragen streifen den Kern des Textausschnittes, geben ihn aber nicht präzise wieder.
Ob es mir möglich ist, an mir zu zweifeln, beantwortet Augustin streng genommen nicht. Ihm geht es nicht darum, Selbstzweifel auszuschließen. Dass es mir nicht möglich ist, an meiner Existenz zu zweifeln, bedeutet ja noch nicht, dass ich nicht trotzdem an meinen Entscheidungen, meinen Charaktereigenschaften u.ä. zweifeln kann. Diese Form von Selbstzweifel werden gerade nicht ausgeschlossen.
In der Frage, ob ich mir sicher bin, dass ich bin und dies weiß, schwingt natürlich mit, wie ich Erkenntnis hierüber erlange. Indem Augustin argumentativ untermauert, weshalb es nicht möglich ist, daran zu zweifeln, dass ich bin und dass ich das weiß, gibt er seinen Leser*innen die Möglichkeit, eben dies zu erkennen. Allerdings wird das Thema ‚Selbst-Erkenntnis‘ oder Erkenntnis von Sein, Wissen und Lieben nirgends dezidiert angesprochen, was es erschwert, in dieser Leitfrage den Kern des Textes zu sehen.
Dahingegen wird die Sicherheit der eigenen Existenz, des eigenen Seins, deutlich angesprochen. Lässt man den Kontext des Textausschnittes außer Acht, kann man durchaus darin die Pointe des Textausschnittes selbst sehen, denn die Sicherheit schließt ja unweigerlich auch das Wissen um das Sein in sich ein. Allerdings ist diese Pointe auf den Kontext des Textes bezogen zu kurz gefasst.
Zu Beginn des Kapitels wird die Trinität thematisiert. Augustin fragt nun aber gerade nicht, ob wir uns sicher sein können, dass Gott die Trinität ist. Er setzt dies im Kapitel zunächst als gegeben voraus. Die Übereinstimmung von Gott und Trinität bedeutet allerdings nicht, dass Augustin jeglichen Zweifel an der Frage, ob Gott ist und wenn ja, ob er Vater, Sohn und Heiliger Geist ist, für unangebracht hält. Anhand anderer Textstellen, so z.B. im unmittelbaren Umfeld in de civitate dei 11,28, erklärt Augustin durchaus, dass wir Gott nicht vollständig zu erfassen vermögen. Solange wir noch nicht bei Gott sind, sind Zweifel gerade nicht ausgeschlossen.
Augustin versucht jedoch, für die unbezweifelbare Einheit der Dreiheit ‚Sein‘, ‚Wissen des Seins‘ und ‚Lieben von Sein und Wissen‘ zu argumentieren, und eben diese ist ihm zufolge das Abbild des trinitarischen Gottes. Entsprechend erläutert er, inwiefern der Mensch als Abbild der Trinität bezeichnet werden kann. Die unbezweifelbare Einheit der Dreiheit verrät etwas über mich als Geschöpf, und insofern es mich als Geschöpft betrifft, verrät es auch etwas über den Schöpfer. Augustin spielt das in den folgenden Kapiteln analog für die gesamte Schöpfung durch. Das heißt nun nicht, dass er glaubt, Gott wäre die Schöpfung. Aber indem wir die Schöpfung betrachten, die Gottes Werk ist, erfahren wir etwas über denjenigen, der die Schöpfung gemacht hat.
Vielleicht haben Sie schon einmal von dem kosmologischen Gottesbeweis gehört? Dieser geht davon aus, dass die Schöpfung einen Schöpfer braucht, der nicht sie selbst ist. Mit der Existenz der Schöpfung ist also auch ihr Schöpfer bewiesen. Augustin verfährt ähnlich, bietet aber keinen direkten kosmologischen Trinitätsbeweis. Ihm geht es vielmehr darum, durch die unbezweifelbare Einheit der Dreiheit ‚Sein‘, ‚Wissen des Seins‘ und ‚Lieben von Sein und Wissen‘ eine Möglichkeit zu bieten, das Logikproblem 3 = 1 / 1 = 3 zu lösen. Wenn ich schon eine Dreiheit sein kann, wieso sollte das nicht auch bei Gott möglich sein?
Aufgabe 6 von 9
RENÉ DESCARTES, MEDITATIONES DE PRIMA PHILOSOPHIA 2,3
Sed unde scio nihil esse diversum ab iis omnibus, quae iam iam recensui, de quo ne minima quidem occasio sit dubitandi? Numquid est aliquis Deus, vel quocumque nomine illum vocem, qui mihi has ipsas cogitationes immittit? quare / / vero hoc putem, cum forsan ipsemet illarum auctor esse possim? Numquid ergo saltem ego aliquid sum? Sed iam negavi me habere ullos sensus et ullum corpus; haereo tamen: nam quid/inde? Sumne ita corpori sensibusque alligatus, ut sine illis esse non possim? Sed mihi persuasi nihil plane esse in mundo, nullum coelum, nullam terram, nullas mentes, nulla corpora; nonne igitur etiam me non esse? Imo certe ego eram, si quid mihi persuasi.
Sed est deceptor nescio quis, summe potens, summe callidus, qui de industria me semper fallit; haud dubie igitur ego etiam sum, si me fallit, et fallat quantum potest, numquam tamen efficiet, ut nihil sim quamdiu me aliquid esse cogitabo. Adeo ut omnibus satis superque pensitatis denique statuendum sit hoc pronuntiatum: ego sum, ego existo, quoties a me profertur vel mente concipitur, necessario esse verum.
René Descartes, Meditationes de prima philosophia 2,3 (hg. von Specht und Cassirer, René Descartes: Philosophische Schriften, 42,14-44,16).
Aber woher weiß ich, dass es nichts von all diesen Dingen, die ich längst schon aufgezählt habe, Unterschiedenes gibt, an dem es nicht die geringste Gelegenheit zu zweifeln gibt? Gibt es etwa irgendeinen Gott, oder wie auch immer ich jenen benennen möchte, der mir diese Gedanken hier einflößt? Warum aber glaube ich dies, wenn ich vielleicht selbst der Urheber jener [d.h. der Gedanken] sein kann? Bin ich also folglich irgendetwas? Aber ich hatte schon verneint, dass ich irgendwelche Sinne und irgendeinen Körper habe. Dennoch hänge ich hier fest; ja, was weiter? Bin ich etwa so an den Körper und die Sinne gebunden, dass ich ohne jene nicht sein könnte? Aber ich hatte mich überzeugt, dass nichts gewiss ist auf der Welt, kein Himmel, keine Erde, kein Bewusstsein, keine Körper; ist es deshalb sogar so, dass ich nicht bin? Ja gewiss bin ich sicherlich, wenn ich mich in irgendeiner Weise überzeugt habe.
Aber es gibt einen Betrüger, ich weiß nicht wer, zuhöchst mächtig, zuhöchst schlau, der mich mit Fleiß immer täuscht. Ohne Zweifel bin ich daher sogar, wenn er mich täuscht; und er täusche mich, so gut er kann, dennoch schafft er es niemals, dass ich nichts bin, während ich denke, dass ich irgendetwas bin. Ich nähere mich dem, dass – nachdem ich alles genug und ausführlich durchdacht habe – schließlich festzustellen sei, dass diese Bekanntmachung: ‚Ich bin, ich existiere‘, sooft sie [d.h. die Bekanntmachung] von mir vorgetragen wird, oder im Verstand gebildet wird, notwendig wahr ist.
Im Anschluss an die Lektüre des Textes beantworten Sie folgende Fragen:
- Wie verläuft die Argumentation des Textes? Achten Sie dafür auf Schlüsselbegriffe, Gliederungselemente (‚wenn-dann‘, ‚folglich‘, ‚aber‘, usw.) und Stilmittel (rhetorische Frage, usw.).
- Welche Elemente aus dem augustinischen Text entdecken Sie wieder?
- Fallen Ihnen Unterschiede zum augustinischen Text auf?
Wie verläuft die Argumentationsstruktur des Textes?
Einleitende Frage: Gibt es etwas, dessen ich mir unzweifelhaft sicher sein kann?
- Argumentationsgang: Meine Überlegungen müssen einen Ursprung haben
- Möglichkeit 1: Gott
- Möglichkeit 2: Ich
=> Schlussfolgerung: Dann muss ich irgendetwas sein.
-
- Rekapitulation: Körper und Sinne sind nicht gewiss.
- Alternativen
(i) Ich kann auch unabhängig von Körper und Sinnen existieren.
(ii) Körper und Sinne existieren nicht sicher. = Ich existiere auch nicht sicher. - d. (ii) ist ausgeschlossen, weil ich mich von der Unsicherheit der Existenz von Körper und Sinnen überzeugen konnte.
- Argumentationsgang: Ich bin, weil ich ununterbrochen getäuscht werde.
- ‚Ich‘ bin ununterbrochen den Täuschungen des Täuschers ausgesetzt
- Getäuscht zu werden setzt voraus, dass ich existiere.
- Ich existiere, solange ich denke, dass ich in irgendeiner Weise bin.
Schlussfolgerung: Die Aussage/der Gedanke ‚ich bin, ich existiere‘ ist notwendig wahr.
Diese Gliederung basiert auf folgenden Überlegungen:
Durch die verwendeten Satzarten zerfällt der Text in zwei Hälften. Während die erste Hälfte von rhetorischen Fragen geprägt ist, finden sich in der zweiten Hälfte Aussagesätze, wobei über Konditional-, Final- und Temporalsätze verschiedene Bezüge verdeutlicht werden. Außerdem gipfeln die rhetorischen Fragen jeweils in zwei Aussagen, wobei die erste negativ und die zweite positiv ist.
Die einleitende und dem gesamten Abschnitt übergeordnete Frage Descartes‘ lautet: Gibt es etwas, an dessen Existenz ich nicht zweifeln kann?
In den darauffolgenden, rhetorischen Fragen spielt Descartes zwei Möglichkeiten durch. Diesen Möglichkeiten liegt die Annahme zugrunde, dass die Frage und das Nachdenken über diese Frage von irgendwo herkommen muss. Für Descartes kommt als Ursprung seines eigenen Gedankens entweder Gott oder er selbst in Frage. Allerdings schiebt er die Möglichkeit ‚Gott‘ erstmal beiseite und konzentriert sich ganz auf die zweite Möglichkeit. Der letzten Frage dieser Reihe liegt die Schlussfolgerung zugrunde: Wenn ich der Ursprung meiner Gedanken bin, muss ich irgendetwas sein. Im Anschluss an die Frage erinnert Descartes an den diesem Abschnitt vorangegangenen Argumentationsgang, in dem er die Gewissheit von Körper und Sinnen ausgeschlossen hatte. Das aufgrund des bestehenden Gedankens unzweifelhaft sichere ‚Ich‘ kann also nicht aus ‚Körpern und Sinnen‘ bestehen.
Deshalb verbeißt sich Descartes weiter in der Überlegung, woraus dieses ‚Ich‘ denn dann besteht. Wieder arbeitet er mit rhetorischen Fragen, die letztlich die Alternative aufzeigen: entweder kann ‚Ich‘ auch unabhängig von Körper und Sinnen bestehen – dann existiere ich sicher – oder, wenn ‚Ich‘ zwangsläufig aus Körper und Sinnen bestehe und zu den weltlichen Dingen gehöre, die nicht sicher existieren, muss potentiell die Möglichkeit gegeben sein, dass ich nicht bin. Die Möglichkeit, nicht zu sein, schließt Descartes aber aus. Allein aufgrund der Überzeugung, dass nichts auf der Welt sicher ist, ist gesichert, dass es ein Subjekt dieser Überzeugung geben muss.
Der zweite Abschnitt fügt dieser Schlussfolgerung eine zweite Überlegung hinzu. Descartes bringt eine nicht näher definierte Instanz ins Spiel: einen Betrüger, der nichts anderes zu tun hat, als das ‚Ich‘ ununterbrochen zu täuschen. Trotz der faktischen Täuschung in sämtlicher Hinsicht, erstreckt sich die Täuschungsmöglichkeit aber nicht darauf, dass der Getäuschte tatsächlich existieren muss. Dem Täuschenden gelingt es nicht, das ‚Ich‘ davon zu überzeugen, nicht zu existieren, weil wenn das ‚Ich‘ darüber nachdenkt, was es ist, es sicherlich existiert.
Entsprechend kommt Descartes, den Textausschnitt abschließend, auch zu der Schlussfolgerung: Allein der Gedanke daran, dass ‚ich bin‘, verleiht diesem Gedanken notwendig Wahrheit.
Aufgabe 7 von 9
Welche Elemente aus dem augustinischen Text kehren wieder?
Eine ganze Reihe von Elementen, die sich im Descartes-Text finden, tauchten bereits im Text von Augustin auf. Im Folgenden sind diese Elemente in der Reihenfolge des Descartes-Textes wiedergegeben:
- Element:
- Element:
- Element:
- Element:
Aufgabe 8 von 9
Welche Unterschiede finden sich zu Augustin?
Wirft man einen genaueren Blick auf die eben genannten Themen, lassen sich enorme Unterschiede darin feststellen, wie genau die beiden Autoren mit den Themen umgehen. Im Folgenden wird die oben genannte Reihenfolge beibehalten.
1. Die Thematik des unzweifelhaft Sicheren
Schon im Textausschnitt, aber auch anhand der Kontextualisierung wurde deutlich, dass Augustin sich nicht auf das Sein beschränkt. Für ihn sind die drei Aspekte ‚Sein‘, ‚Wissen um das Sein‘, und das ‚Lieben von Sein und Wissen‘ gleichermaßen nicht bezweifelbar. Descartes hingegen beschränkt sich ganz auf die Frage danach, wie ich mir meiner selbst gewiss sein kann. Obwohl das Wissen um das Sein mitschwingt, werden keine eindeutigen anderen Elemente hinzugefügt.
2. Die Instanz ‚Gott‘
Damit hängt auch zusammen, wie unterschiedlich die Autoren mit der Frage nach ‚Gott‘ umgehen. Während sich aufgrund der Kontextualisierung die Frage danach, wie man Gott als trinitarischen Gott verstehen kann, als eigentliches Thema des augustinischen Kapitels herausstellte, wirft Descartes den Gottesbegriff lediglich als Möglichkeit in den Raum, die er nicht weiterverfolgt. Allerdings sei hier erwähnt, dass Descartes durchaus auch die Instanz ‚Gott‘ in seinen weiteren Meditationen stärker in den Blick nimmt und hier eine Verbindung zwischen der unbezweifelbaren Sicherheit des ‚Ichs‘ und ‚Gottes‘ hergestellt wird. Anders als bei Augustin liegt der Fokus Descartes aber zunächst ganz auf der Frage nach der Sicherheit in Bezug auf das eigene Sein.
3. Die Konfrontation mit Körpern und Sinnen / körperlichen Sinnen
Die körperlichen Sinne kommen bei Augustin ins Spiel, weil er ausschließt, dass die drei Aspekte ‚Sein‘, ‚Wissen um das Sein‘, und ‚Lieben von Sein und Wissen‘ über die körperlichen Sinne wahrgenommen werden. Bei allem, was der Mensch über die Sinne wahrnimmt, kann er sich täuschen. Der Gegenstand der Täuschung ist also etwas außerhalb, das über die Sinne aufgenommen wird. Für Descartes sind hingegen der Körper und die Sinne an sich Gegenstand der Täuschung. Ihm zufolge kann ich mir nicht sicher sein, dass mein Körper und meine sinnliche Wahrnehmung tatsächlich existieren.
4. Das Argument der Täuschung
In dieser Thematik findet sich eine fast wortwörtliche Übereinstimmung zwischen Augustin und Descartes: Ich bin ohne Zweifel (existent), wenn ich mich täusche / getäuscht werde. Dass Descartes von einem externen Täuscher ausgeht und Augustin von einem reflexiven ‚Sich-Täuschen‘ sei hier einmal vernachlässigt. Kurz lautet die Formel: ‚Täuschen = Sein‘. Während Augustin diese Formel aber um sein ‚Täuschen = Wissen des Seins‘ und ‚Täuschen = Lieben des Seins und des Wissens‘ erweitert, nimmt Descartes eine andere Ergänzung vor: ‚Denken = Sein‘. Descartes nutzt dasselbe Argument wie Augustin, allerdings zielt er dabei auf seine 1637 entwickelte Formel ‚Je pense, donc je suis‘ ab.
Aufgabe 9 von 9
HISTORISCHER VERGLEICH
Ordnen Sie die folgenden Aussagen entweder Augustin oder Descartes zu.
Die Adressaten sind Christen und Heiden, die Götter statt Gott verehren.
Augustin nennt als Ziel seiner Schrift die Widerlegung der Heiden und die Untermauerung der christlichen Lehre, vgl. Augustin, de civitate dei 1,1 (1,1-7 D./K.).
Ziel ist der Beweis der körperlosen res cogitans.
Die Analyse des Textes von Descartes hat diese Pointe erbracht.
Die Adressaten sind Christen und Atheisten, die nicht an die Existenz des Göttlichen glauben.
Descartes widmet seine Meditationen der Theologischen Fakultät der Pariser Universität, und richtet sie gegen Atheisten, vgl. René Descartes, epistola 11 (Specht und Cassirer, Philosophische Schriften in einem Band, 10).
Ziel ist die Erklärung des christlichen Glaubens an die Trinität.
Anhand der Kontextanalyse wurde dieses Ziel Augustins deutlich.
Wie der Einleitungstext Ihnen bereits verraten hat, schrieb Augustin sein Werk de civitate dei im Anschluss an die Plünderung Roms, für die manche Bewohner des Römischen Reiches die christliche Religion verantwortlich machten. Augustin hat mit seinem Werk also durchaus zumindest auch Heiden im Blick und will seinen christlichen Adressaten mögliche Antworten an die Hand geben, wenn diese mit den Vorwürfen der Heiden konfrontiert werden. Ein wichtiger Aspekt ist dabei der Glaube an Vater, Sohn und Heiliger Geist, der bereits in der Antike Gegenstand zahlreicher Streitgespräche war.
Descartes hingegen konzentriert sich ganz auf die Frage, was zweifelhaft und was unzweifelhaft gewusst wird. Alles Körperliche ist dabei dem Zweifel unterworfen. Dahingegen gilt ihm die Existenz des denkenden Seins, der res cogitans, als unzweifelhaft sicher. Auf eben diese Zweifellosigkeit zielt seine Argumentation ab. Die Frage nach der Existenz Gottes kommt dabei erst in einem zweiten Schritt in den Blick. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass Descartes anders als Augustin Argumente liefert, die sich gegen Atheisten richten, die die Existenz des Göttlichen grundsätzlich in Zweifel ziehen. Mit der res cogitans wird dann erst einmal eine gemeinsame Basis geschaffen, auf deren Grundlage weiter über Gott als Schöpfer dieses ‚denkenden Dings‘ nachgedacht werden kann.